Mahdia Hossaini über Momente im Herbst

Dafür schreibt an dieser Stelle in unregelmäßigen Abständen die afghanisch-stämmige Autorin und Bloggerin Mahdia Hossaini, die im Iran aufwuchs und seit 2023 in der Bad Mergentheimer Kernstadt lebt. (Teil 8)
Momente im Herbst
Von Mahdia Hossaini
Die Luft hat jetzt einen anderen Geruch. Nach Regen, Holz, einem Hauch von etwas Warmem, das nach Erinnerung schmeckt. Die Blätter rascheln unter den Füßen, und ich gehe langsamer, nur um ihnen einfach zuzuhören. Der Herbst eilt nie. Er verlangt keine besondere Aufmerksamkeit. Er kommt leise, und alles verändert sich unmerklich.
Jedes Jahr, wenn der Herbst wiederkehrt, greife ich zu demselben Buch, das ich schon seit meiner Jugend lese. Das Buch altert nicht – aber ich. Die Person, die es in diesem Jahr liest, ist nicht dieselbe Person, die es im letzten Jahr gelesen hat. Mit jedem Herbst sind da neue Zeilen, die mich rufen, neue Seiten, die mir schwerer oder leichter vorkommen. Die Geschichte verändert sich niemals, und doch sehe ich, wie weit ich gekommen bin. Es ist eines dieser kleinen Rituale, die mich daran erinnern, dass eine Veränderung nicht immer laut sein muss. Manchmal blättert man einfach nur um.
Ich liebe es, im Kurpark im Regen spazieren zu gehen. Die Luft ist so frisch und rein, und die anderen eilen vorbei unter ihren Regenschirmen, die wie kleine Blumen aufblühen. Mäntel sind gegürtet, Schals zweimal um den Hals geschlungen, Hände zum Aufwärmen tief in die Taschen gesteckt. Hin und wieder saust der Wind oben von den Ästen herab und trifft dich. Dann wird der Regen stärker, dichter fast, und viele flüchten in die Cafés.
Ich gehe schnell zu meinem Lieblingscafé. Man kann von außen nicht hineinschauen, alle Scheiben sind beschlagen, und das Licht darin ist weich und gelb im Nebel. Man öffnet die Tür, ein kleiner Schauer läuft einem über den Rücken – der in der Wärme rasch wieder verschwindet. Es riecht nach frisch gemahlenem Kaffee und Apfelkuchen mit Zimt. Nasse Jacken hängen am Eingang. Die Menschen sitzen dicht beieinander, die Ellbogen auf den Knien, beugen sich vor, reden, lachen. Das Café ist voll – wie ein Zufluchtsort, gebaut, um Geborgenheit zu vermitteln.
Ich suche meinen Lieblingsplatz in der Ecke. Manchmal ist er besetzt, und das ist in Ordnung – es gibt immer einen anderen. Aber wenn die Frau hinter dem Tresen zu mir sagt: „Hier, dieser ist frei“, lächle ich und setze mich. Hier sitze ich und beobachte all diese Menschen, die reden und lachen; mir wird klar: Regen und Herbst machen Menschen zu Geschichtenerzählern. Vielleicht liegt es am Wetter, vielleicht an der Wärme – aber das Gemeinschaftsgefühl in diesem Raum ist etwas ganz Besonderes.
Eines Tages sprach mich in einer anderen Stadt eine Frau in einem verletzenden Ton an. Das brachte mich aus der Fassung, diese mangelnde Empathie einer Fremden. Ich konnte mir nicht helfen, ich musste darüber nachdenken, wie Menschen versuchen, anderen etwas aufzuhalsen, womit sie selbst nicht zurechtkommen. Vielleicht machen wir das manchmal alle so, aber vielleicht ist das Beste, was wir tun können, ein bisschen Freundlichkeit zurückzugeben, etwas, das die Kette der Unfreundlichkeit in der Welt zerreißt, und wenn auch nur für den Augenblick.
Alles wurde wieder besser, als ich nach Bad Mergentheim zurückkam. Die Frau im Café erinnerte sich an meine übliche Bestellung. Meine Nachbarn fragten, ob ich gut nach Hause gekommen sei. Ein Fremder lächelte und grüßte mich auf der Straße. Und sogar über meine Fehler in der deutschen Sprache wurde geschmunzelt. Da wurde mir klar: Es sind die kleinen Dinge, diese sanften Momente der Freundlichkeit, die einen Ort lebendig machen.
Der Herbst lässt mich solche Dinge bemerken – die Regentropfen an den Fenstern, die Wärme eines Cafés, den Klang, wenn jemand deinen Namen mit Freundlichkeit ausspricht. Vielleicht ist das die wahre Bedeutung von Zugehörigkeit: kleine Gesten der Güte, die die Kälte draußen halten.
Und so macht der Herbst dem Winter Platz.
Lasst uns einander die dunklen Nächte nicht mit belastenden Worten schwer machen. Draußen vor den Fenstern ist schon genug Dunkelheit. Füllen wir die Zeit lieber mit sanften Tönen, Wärme und Mitgefühl.
Und wenn auch du diese Jahreszeit liebst, wenn der Herbst einen besonderen Platz in deinem Herzen hat – eine Erinnerung oder einen kleinen Moment der Freundlichkeit –, dann bist du herzlich eingeladen, sie mit uns zu teilen:
