Eine Kirche, ein Regal - und die unerwarteten Momente, die uns alle verbinden

Dafür schreibt an dieser Stelle in unregelmäßigen Abständen die afghanisch-stämmige Autorin und Bloggerin Mahdia Hosseini, die im Iran aufwuchs und seit 2023 in der Bad Mergentheimer Kernstadt lebt. Dies ist ihr dritter Artikel.
Eine Kirche, ein Regal - und die unerwarteten Momente, die uns alle verbinden
Von Mahdia Hosseini
Vor ein paar Tagen schlenderte ich durch einen Laden in der Nähe und schlängelte mich durch die Gänge der Saisonartikel.
Ich stieß auf eine Auslage mit Ramadan-Dekorationen, Halbmonden, Laternen und Bannern mit der Aufschrift „Habt einen gesegneten Ramadan“. Der Ramadan ist eine Zeit, in der Muslime von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang fasten und dabei großen Wert auf Gebete, Besinnung und Gemeinschaft legen.
Daneben ein Bereich für das Oster-Fest: bunte Eier, goldene Kreuze, pastellfarbene Hasen.
Ich stand einen Moment lang da und nahm alles in mich auf.
Ich war es nicht gewohnt, dass der Ramadan in einem europäischen Land so offenkundig ist; in meiner Heimat wurde er auf den Straßen, auf dem Markt und in den Häusern gefeiert. Hier ist er immer sehr privat gewesen.
Doch in diesem ganz normalen Laden, in diesem ganz einfach aussehenden Regal, stand das Undenkbare: Anerkennung, ein unausgesprochenes Wort, ja sogar Tradition fanden hier ihre Nische.
Es ging nicht nur um die Dekoration, sondern vielmehr um das, was sie aussagt: das Zusammenleben, die Anerkennung, die ruhige Art und Weise, wie eine Gesellschaft verschiedene Kulturen in ihr Gewebe einwebt.
Dieser kleine Moment ist mir in Erinnerung geblieben und hat mir das Gefühl gegeben, dass meine Anwesenheit und meine Traditionen nicht nur toleriert, sondern anerkannt werden.
Eine gemeinsame Sprache der Trauer
Eine Woche später stand ich in einer Friedhofskapelle und nahm schweigend an einer Beerdigung teil.
Fast wäre ich nicht hingegangen.
Der Gedanke, eine Kirche für die Beerdigung zu besuchen, war zu entmutigend. Ich bin Muslimin und trage einen Hidschab. Ich wusste nicht, ob die Leute das akzeptieren würden. Werden sie sich fragen: „Wie kann sie nur hier sein?“ Warum bin ich hier? Es wäre so einfach gewesen, zu Hause zu bleiben und meine Befürchtungen als Grund zu nehmen, gar nicht erst zu kommen.
Aber wie immer wusste etwas in mir, dass ich hingehen musste.
Ich kannte die Frau, die beerdigt wurde, nicht persönlich. Ich hatte sie nur ein paar Mal getroffen. Aber ich kannte ihren Mann. Er hatte jahrelang Flüchtlingen geholfen und Menschen willkommen geheißen, als sie zum ersten Mal in diese Stadt kamen. Er hat sein Leben der Aufgabe gewidmet, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen wie zu Hause fühlen. Das Mindeste, was ich tun konnte, war, ihm in seiner Trauer zur Seite zu stehen und meinen Respekt zu zeigen.
Und so ging ich hin.
Einen Moment lang fragte ich mich, ob meine Existenz von den Menschen um mich herum je anerkannt würde. Aber dann dämmerte mir, dass Trauer alle Grenzen sprengt. Und als die Beerdigung begann, wurde eine Tatsache bewusst: In der Trauer stehen wir zusammen.
Da ich aus einer Familie mit Migrations- und Flüchtlingshintergrund komme, hatte ich fast erwartet, mehr Gesichter wie meines zu sehen. Ich fragte mich, wie viele von ihnen, denen jemand aus Bad Mergentheim geholfen hatte, ihnen einst seine Arme geöffnet hatte, die gleichen Zweifel und das gleiche Zögern hatten. Nicht weil sie nicht willkommen sind, sondern weil sie vielleicht wirklich unsicher waren, wie sie an einer Zeremonie teilnehmen sollten, die ihnen nicht vertraut ist.
Und in dem Moment, als die Zeremonie begann, stand ich stumm da, bis ich die ersten Worte hörte: „Wir sind von Gott, und zu ihm kehren wir zurück.“
Ich war verblüfft über die Ähnlichkeit der Worte. Wir benutzen denselben Ausdruck, wenn jemand in meinem Glauben stirbt. Es ist das Leben, das uns daran erinnert, wie vergänglich es ist, wie wir ins Jenseits gerufen werden.
Und in diesem Moment begannen die Barrieren, die ich mir vorgestellt hatte, die Unterschiede des Glaubens und der Kultur und des persönlichen Hintergrundes sich aufzulösen. Trauer, so wurde mir klar, hat keine Religion. Der Kummer im Raum, die stillen Tränen, die geflüsterten Gebete um Frieden und Barmherzigkeit, sie hatten jede Sprache und jeden Glauben.
Ich schaute mich um und sah, jenseits aller Unterschiede, Menschen, die sich gegenseitig unterstützten, trösteten und die Last des Verlustes teilten. Und in diesem Augenblick fühlte ich mich ruhig. Im Frieden mit meiner Entscheidung, hierher zu kommen. In Frieden mit der Erkenntnis, dass wir trotz unserer Unterschiede alle unter demselben Himmel standen und auf dieselbe Weise trauerten.
Zugehörigkeit finden in der Überschneidung der Welten
Zwei Momente, der eine des Feierns, der andere des Trauerns, lehrten mich etwas über Zugehörigkeit, die ich nie erwartet hätte: ein Spiegelbild im Laden zu finden, an einem Ort, von dem ich nie erwartet hätte, meine Identität widergespiegelt zu finden. Und bei dieser Beerdigung fühlte ich Frieden inmitten von Menschen, nachdem ich zunächst Angst gehabt hatte, mich fehl am Platz zu fühlen.
Wir glauben, dass Zugehörigkeit bedeutet, dazuzugehören, aber vielleicht geht es um die Anerkennung von Räumen, in denen sich Leben, Trauer, Freude und Traditionen kreuzen.
So wie der Himmel und die Erde unterschiedlich und doch verbunden sind. Wie eine Moschee und eine Kirche, beide unterschiedlich und doch Orte der Anbetung sind. Wie Ramadan und Ostern, einzigartig in ihrer Art, und doch teilen sie einen Raum.
Als ich an diesem Tag aus der Kirche ging, fühlte ich mich leichter. In der Trauer, in der Feier, in der Stille dazwischen, wurde ein Platz gefunden. Und vielleicht, nur vielleicht, fand dieser Ort auch einen Platz für mich.
Haben Sie jemals das Gleiche gefühlt?
Waren Sie schon einmal in einer dieser Situationen und haben Ihr Unterbewusstsein gefragt: „Soll ich das tun? Sollte ich nicht?“ Gehören Sie zu den Menschen, denen tausend Gedanken durch den Kopf gehen, die nachts wach liegen und über etwas nachdenken, das gar nicht so groß ist? Und trotzdem fühlt es sich in Ihrem Kopf so überwältigend an?
Sollte Ihnen das schon einmal passiert sein, in einem Moment, in dem jede Faser zwischen Angst und Mut, Unsicherheit und lautem Denken hin- und hergerissen war, dann würden wir gerne Ihre Geschichte lesen. Sie können uns Ihre Geschichte gerne über den folgenden Link schicken:
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Wir würden uns sehr freuen, von Ihnen zu hören, Ihre Gedanken zu erfahren und Ihre Geschichten zu lesen!